Antisemitismus, Rechtsextremismus, Islamismus
Die fünf wichtigsten Erkenntnisse aus dem neuen Bericht des Verfassungsschutzes
Neonazis demonstrieren in Hannover gegen Journalisten, die kritisch über die rechte Szene berichtet haben. (Archivfoto)
Quelle: Ole Spata/dpa
Laut dem neusten Bericht des Verfassungsschutzes ist die Sicherheitslage in Deutschland durch Extremisten stark bedroht. Die Gefahr gehe vor allem von Islamisten und Rechtsextremisten aus. Doch auch eine Klimaschutzbewegung wird als extremistischer Verdachtsfall eingestuft.
Berlin. Die jährliche Vorstellung des Verfassungsschutzberichts ist selten ein Termin für gute Laune. „Auch für das Berichtsjahr 2023 hat der Verfassungsschutz zur Sicherheitslage in Deutschland nicht viel Positives zu berichten“, sagte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang am Dienstag in Berlin. „Unsere Demokratie ist stark, aber auch unter erheblichem Druck“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Demokratie und Rechtsstaat würden sowohl von innen als auch von außen massiv angegriffen.
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Das sind die fünf wichtigsten Erkenntnisse aus dem diesjährigen Verfassungsschutzbericht.
1. Die Zahl antisemitischer Straftaten ist drastisch gestiegen
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat dem Nahostkonflikt und dem dadurch befeuerten Antisemitismus in diesem Jahr ein eigenes Sonderkapitel gewidmet: Seit dem Angriff der islamistischen Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ist die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland massiv angestiegen. Während die deutschen Sicherheitsbehörden im Oktober 2022 208 antisemitische Straftaten registrierten, waren es im Oktober 2023 1342. „Wir müssen die Spirale, dass Eskalationen im Nahen Osten zu noch mehr widerwärtigem Judenhass bei uns führen, unbedingt durchbrechen“, sagte Faeser.
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Besonders israelbezogener Antisemitismus sei seit dem 7. Oktober übergreifend in ganz unterschiedlichen extremistischen Spektren zu beobachten gewesen, schreibt der Verfassungsschutz in seinem Jahresbericht – etwa in ausländischen extremistischen Gruppen, unter Islamisten und Links- und Rechtsextremisten, aber auch bei „Reichsbürgern“ und bei jenen, die der Nachrichtendienst unter dem Sammelbegriff „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ beobachtet. Bei Letzteren seien vor allem Verschwörungserzählungen über die Entstehung des Gazakrieges verbreitet.
2. Die Gefahr durch islamistischen Terror hat zugenommen
Auch das ohnehin bereits hohe Gefährdungspotenzial durch islamistischen Terrorismus sei durch den Angriff der Hamas und den Krieg in Gaza weiter angestiegen, sagte Haldenwang. Die Gefahr gehe sowohl von jihadistischen Einzeltätern als auch von Gruppierungen aus, heißt es im Verfassungsschutzbericht: „Neben den in den vergangenen Jahren dominierenden weniger komplexen Anschlägen auf vornehmlich ‚weiche‘ Ziele ist weiter auch mit komplexeren Anschlagsvorhaben zu rechnen.
Die gefährlichste Gruppierung sei aktuell der „Islamische Staat Provinz Khorasan“ (ISPK), ein IS‑Ableger, der besonders in Afghanistan und angrenzenden Ländern aktiv ist. Die Gruppe verübte im März einen Anschlag nahe Moskau mit mehr als 140 Todesopfern. Koordinierte Anschläge wie 2015 unter anderem auf ein Fußballstadion und den Konzertsaal Bataclan in Paris seien „Traumvorstellungen“ des ISPK. Der Gruppe sei es durch Flüchtlingsbewegungen aus der Ukraine auch gelungen, Anhänger nach Westeuropa zu bringen. Haldenwang zeigte sich jedoch zuversichtlich, dass größere Anschlagsplanungen von den europäischen Sicherheitsbehörden frühzeitig aufgedeckt und unterbunden werden könnten. Erneute Großanschläge seien deshalb „zwar ein denkbares, aber nicht sehr wahrscheinliches Szenario“.
3. Mehr rechtsextreme Straf- und Gewalttaten
Die Zahl der rechtsextremen Straftaten ist dem Verfassungsschutzbericht zufolge im Jahr 2023 um mehr als 22 Prozent auf 25.660 angestiegen. Die Zahl der Gewaltdelikte stieg demnach um 13 Prozent auf 1148 – beim überwiegenden Großteil dieser Taten habe es sich um Körperverletzung gehandelt. „Dabei gab es auch vier versuchte Tötungsdelikte“, sagte Haldenwang. Die Zahl rechtsextremer Demonstrationen sei 2023 um 153 Prozent auf insgesamt 307 gestiegen.
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Der Verfassungsschutz nimmt zunehmend auch Akteure der sogenannten Neuen Rechten in den Blick. Im vergangenen Jahr wurden die rechtsextreme Kampagnenorganisation „Ein Prozent“ und das „Institut für Staatspolitik“ zu gesichert extremistischen Bestrebungen erklärt. „Seit diesem Monat ist auch der Verlag Antaios gesichert rechtsextremistisch“ sagte Verfassungsschutzchef Haldenwang. „Wir erkennen, dass sich Akteure der Neuen Rechten weiter miteinander vernetzen und Kontakt ins bürgerliche Spektrum zu knüpfen.“
Wann mit einem neuen Verfassungsschutzgutachten zur AfD und damit möglicherweise auch mit der Hochstufung der Partei zur gesichert extremistischen Bestrebung zu rechnen ist, ließ Haldenwang offen. Zunächst solle die schriftliche Urteilsbegründung des Oberverwaltungsgerichts Münster abgewartet werden. Die AfD hatte gegen die Beobachtung als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz geklagt und im Mai in zweiter Instanz verloren.
4. Die Zahl gewaltorientierter Linksextremer ist angestiegen
Das linksextreme Personenpotenzial ist laut dem Verfassungsschutzbericht im Jahr 2023 leicht angestiegen auf 37.000. Davon stuft der Inlandsnachrichtendienst 11.200 als gewaltorientiert ein. „Das Gefährdungspotenzial, das von linksextremistischen Gewalttätern ausgeht, ist unvermindert hoch“, sagte Haldenwang. Das werde untermauert durch einen Anstieg der linksextremistischen Straftaten um 10,4 Prozent auf 4248 Delikte. Die Gewalttaten seien um 20,8 Prozent auf 727 Taten angestiegen.
„Im Zielspektrum von Linksextremisten sind vor allem unsere Polizei, tatsächliche oder als solche ausgemachte Rechtsextremisten und Unternehmen“, sagte Haldenwang. Nancy Faeser verwies auf einen Brandanschlag auf einen Strommasten nahe des Tesla-Werks in Grünheide in Brandenburg. „Diese Tat hat viele völlig unbeteiligte Menschen in Gefahr gebracht. Wenn etwa bei Kliniken oder Hausarztpraxen der Strom ausfällt, dann ist es eine große Gefahr für Bürgerinnen und Bürger“, sagte die Bundesinnenministerin.
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Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat zum ersten Mal auch die radikale Klimaschutzbewegung „Ende Gelände“ als Linksextremismus-Verdachtsfall eingestuft und darf diese nun auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwachen.
5. Ausländische Dienste greifen Deutschland mit Spionage, Cyberangriffen und Desinformationskampagnen an
Die Bedrohung durch Spionage, Sabotage, Desinformation und Cyberangriffe habe eine neue Dimension erreicht, erklärte Faeser. „Vor allem Russland China und der Iran setzen ihre Nachrichtendienste umfassend zur Spionage gegen Deutschland ein.“ Hinzu kämen „Versuche, durch Propaganda, Lügen und Desinformation Einfluss auf demokratische Staaten zu nehmen und Wut und Hass zu säen oder zu verstärken“.
Die Festnahmen mehrerer mutmaßlicher Spione in chinesischem Auftrag im April zeigten, wie aktuell diese Gefahren seien. „Außerdem wurden Personen festgenommen, die nach Erkenntnissen des Generalbundesanwaltes Sabotageaktionen im Auftrag des russischen Regimes in Deutschland geplant hatten“, sagte Faeser. Besonders demokratische Parteien stünden im „Fokus hybrider Bedrohungen“, etwa durch Cyberangriffe.